Hat die Ministerin gelogen?
- FactJack Redaktion

- 23. Okt.
- 5 Min. Lesezeit
Christliches Magazin “corrigenda” wirft Frauenministerin, Holzleitner, Lüge vor.
Ein Faktencheck.

“Mit Fake-News gegen Lebensschützer?” - so titelt die Plattform “corrigenda” Anfang Oktober und wirft der SPÖ-Frauenministerin Eva-Maria Holzleitner vor, mit Fake-News ihre “Pro-Abtreibungs-Politik” durchzusetzen. Holzleitner ist für bundesweite Schutzzonen vor Einrichtungen für Schwangerschaftsabbrüche und nennt das Verhalten von Abtreibungsgegner:innen vor den Kliniken, speziell vor dem Landeskrankenhaus in Bregenz, “aggressiv”.
Auch andere Medien und Plattformen griffen das Thema auf. Der ORF spricht von „Protesten der Abtreibungsgegner“ und lässt Holzleitner in einem Interview sprechen. Auch hier nennt sie das Verhalten der Akteurinnen und Akteure vor den Kliniken „aggressiv“. Auch die Plattform „exxpress“ griff das Thema kürzlich auf. Auch hier schreibt der Autor oder die Autorin (leider gibt es dazu keine Angabe) davon, dass Holzleitner mit „Fake News gegen die Lebensschützer“ vorgeht. Doch stimmt das? Handelt es sich hierbei wirklich um Fake News? Und was sagt die Ministerin selbst dazu?

Screenshot des corrigenda Artikels
© corrigenda, Bilder siehe CR auf Screenshot
Die Aussage der Ministerin
Auf Anfrage von FactJack lässt Holzleitner von ihrer Pressesprecherin ausrichten: Das Wort „aggressiv“ habe die Ministerin nicht im physischen Kontext gemeint. „Frauen müssen überall in Österreich Zugang zu medizinischer Versorgung haben, ohne auf dem Weg dorthin belästigt, bedroht oder eingeschüchtert zu werden. Belästigung beginnt nicht erst dort, wo jemand tätlich angegriffen wird oder eine strafrechtliche Grenze überschritten ist – auch psychischer Druck, laute Gebete oder aufdringliche Schilder können für betroffene Frauen eine massive Belastung darstellen.” Mit besagter Schutzzonen-Regelung würde man sicherstellen können, dass Frauen eine sichere und respektvolle Umgebung vorfinden.
Forschungslage
Eine Pilotstudie untersuchte die Erfahrungen von Frauen beim Zugang zu Abtreibungskliniken, die von religiös motivierten Demonstranten konfrontiert werden. Die Studie kam zum Ergebnis, dass derartige Demonstrationen zu kaum einer Änderung der Entscheidung führen, Frauen diese aber als Belästigung und psychische Belastung erleben. Die Mehrheit fordert besseren Schutz beim Klinikbesuch. Die Ergebnisse stützen Ministerin und Expert:innen und widerlegen die Darstellungen der Demonstrant:innen.
INFO: Mehr zur Studie
Zwischen 2006 und 2010 wurden im Rahmen der Studie “Experiences of women accessing an abortion clinic confronted by religiously motivated demonstrators: a pilot study” Daten von Frauen erhoben, die einen Schwangerschaftsabbruch suchten und dabei vor einer Abtreibungsklinik von Demonstrierenden angesprochen wurden. An der Studie nahmen 98 Frauen im Alter von 12 bis 47 Jahren teil. Insgesamt gaben 91 Prozent an, dass ihre Entscheidung durch die Demonstrierenden nicht beeinflusst wurde, 17 Prozent fühlten sich aber bedroht, und 93 Prozent befürworteten ein gesetzliches Verbot dessen, was sie als Belästigung wahrnahmen.
Hinweis: Die Studie hat ein sogenanntes Single-Blind Peer Review Verfahren durchlaufen und wurde von mehreren Seiten gegengeprüft und anerkannt. Aus Transparenzgründen hat dennoch angemerkt zu werden, dass das Gynmed-Ambulatorium für Schwangerschaftsabbrüche (aus Wien) bei dieser mitgewirkt hat.
Zur Studie: https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/13625187.2020.1748185
Rechtslage
Übrigens: In Wien können Personen, die andere Menschen vor einer sozial medizinischen Einrichtung bedrängen oder belästigen, von der Polizei verwiesen werden. Das steht seit 2005 im Landessicherheitsgesetz. Es drohen Strafen von bis zu 700 Euro. In anderen österreichischen Bundesländern ist das bisher nicht der Fall.
Oft wird das Landeskrankenhaus (LKH) Bregenz als Beispiel für solche Demonstrationen genannt. Seit November 2023 werden hier Schwangerschaftsabbrüche im Rahmen der Fristenregelung (straffreien Schwangerschaftsabbruch bis zur 12. Woche) durchgeführt. Seitdem finden vor dem LKH regelmäßig Mahnwachen von Abtreibungsgegner:innen statt. Die Situation sei für die Patient:innen, aber auch für alle Mitarbeitenden teils sehr belastend, heißt es in einem Statement vom LKH.
“Die Mahnwachen sind mit der aktuell gegebenen rechtlichen Situation nicht zu unterbinden. Weitere Schutzmaßnahmen auf Bundesebene wären hier also wünschenswert. Wir haben mit Gegenwind gerechnet und daher zum Schutz der Mitarbeitenden umgehend Unterstützungsangebote geschaffen: Angebote für Supervisionen, Möglichkeit eines Coachings zum Umgang mit Anfeindungen (auch am Telefon), Einrichtung einer Hotline und Mailadresse, an die Abtreibungsgegner:innen mit Fragen und Beschwerden verwiesen werden können”, heißt es weiter.
Das LKH habe hier doppelt Verantwortung zu tragen: Einerseits für die sichere Versorgung der Frauen in einer Ausnahmesituation und andererseits für den Schutz der Mitarbeitenden.
Laut der Plattform “corrigenda” lagen der Landespolizeidirektion Vorarlberg auf Nachfrage keine Anzeigen wegen Beleidigung, Nötigung oder tätlicher Angriffe vor.
FactJack fragte bei der Landespolizeidirektion Vorarlberg nach, ob die von Corrigenda zitierte polizeiliche Auskunft tatsächlich erteilt wurde. Die Behörde bestätigte, dass Corrigenda eine entsprechende Anfrage gestellt hatte – und dass die Polizei darauf mitteilte, es seien "keine diesbezüglichen Anzeigen erstattet oder entsprechende Sachverhalte bekannt geworden". Gleichzeitig wies die Landespolizeidirektion darauf hin, dass die im Artikel von Corrigenda wiedergegebene Fragestellung nicht wörtlich mit der tatsächlichen Anfrage übereinstimmt. Corrigenda hatte die Frage enger formuliert, als sie ursprünglich gestellt wurde (die genaue Antwort ist bei "Quellen" zu finden).
Gleichzeitig hat die Ministerin nach uns vorliegenden Informationen, nie von polizeilich gemeldeten Vorfällen gesprochen.
Bewertung des Vorwurfs
Aggressives Verhalten kann mehrere Formen annehmen - wie etwa über verbale, nonverbale oder körperliche Einschüchterung.
Der Vorwurf, dass die Ministerin gelogen hätte, ist aus unserer Sicht UNWAHR.
Die Quelle
Sauberer Journalismus erfordert Transparenz.
Bei der Überprüfung der Quelle corrigenda ist der FactJack-Redaktion aufgefallen, dass es sich dabei um eine Publikation der 1000plus-Profemina gGmbH mit Sitz in München handelt. Diese steht in enger Verbindung zur 1000plus gemeinnützigen GmbH mit Sitz in Wien. Gemeinsam betreiben beide Unternehmen die Website 1000plus.net, die nach eigenen Angaben Frauen „beratend zur Seite stehen“ möchte, um sie von einem Schwangerschaftsabbruch abzuhalten – und so jährlich rund 1000 Abbrüche verhindern will.
Im Auftritt von corrigenda wird jedoch zu keinem Zeitpunkt auf diese Agenda oder den Hintergrund des Mediums hingewiesen. Der Artikel ist somit als werbender Beitrag zu verstehen, ohne dass dies transparent gemacht wird. Die im Journalismus gebotene Distanz und Verpflichtung zur Offenlegung werden nicht eingehalten. Stattdessen entsteht der Eindruck, corrigenda sei ein unabhängiges Medium mit eigener, distanzierter Redaktion. Tatsächlich spricht das Portal 1000plus selbst von „corrigenda“ und vermittelt so den Eindruck, es handle sich um zwei getrennte Plattformen. Der Herausgeber von corrigenda und der Leiter der digitalen Kommunikation von 1000plus sind jedoch ein und dieselbe Person (Josef Jung), die Geschäftsführer sind ebenfalls identisch (Kristian Aufiero und Markus Arnold).
Gerade andere Medien – wie etwa Exxpress – sollten derartige Interessenskonflikte transparent machen, von einer Veröffentlichung absehen oder zumindest eine Gegenprüfung veranlassen. Das Unterlassen solcher Maßnahmen weist auf eine Vernachlässigung der journalistischen Sorgfaltspflicht hin.

Netzwerkdarstellung der 1000plus Unternehmen
Grafik: FactJack
QUELLEN, DIESES THEMA IN ANDEREN MEDIEN & KI
Der Standard: Grüne fordern wirksames Gesetz gegen Gehesteigbelästigung https://archive.ph/5sCv0 (archiviert)
Vorarlberg Online - VOL.at: Holzleitner: Schutzzonen um Abtreibungskliniken als Ziel https://archive.ph/0C9Pg (archiviert)
CNA Deutsch: Polizei bestreitet Aussagen von österreichischer Frauenministerin über Lebensschützer https://archive.ph/qYEHR (archiviert)
Kurier (at): Von Wien lernen: Schutzzonen für Abtreibungskliniken als Vorbild für ganz Österreich? https://archive.ph/5N0jV (archiviert)
Nön.at: Holzleitner: Schutzzonen um Abtreibungskliniken als Ziel https://archive.ph/JgTty (archiviert)
Exxpress: Aggressive Lebensschützer? Polizei widerspricht Frauenministerin Holzleitner https://archive.ph/TvuQF (archiviert)
ORF.at: Holzleitner will Abtreibungskliniken besser schützen https://archive.ph/6gC69 (archiviert, Videos lassen sich meistens nicht abspielen!)
Puls24.at: Holzleitner: Schutzzonen um Abtreibungskliniken als Ziel https://archive.ph/6F4v2 (archiviert)
News: Holzleitner: Schutzzonen um Abtreibungskliniken als Ziel https://archive.ph/vYUnW (archiviert)
SPÖ via APA OTS Aussendung: SPÖ-Holzleitner: Schwangerschaftsabbruch raus aus dem Strafgesetzbuch! https://archive.ph/Yyc5y (archiviert)
North Data Abfrage der 1000plus Unternehmen: https://archive.ph/nMB4O (archiviert)
Statement der Presseabteilung der BM Holzleitner
Diverse Hintergrundgespräche.
Für diesen Beitrag wurde KI zur Quellenrecherche, Übersetzung und Strukturierung genutzt.
Antwort der LPD Vorarlberg vom 23.10.2025:
"...es entspricht den Tatsachen, dass wir am 7. Oktober 2025 eine Anfrage mit folgender Fragestellung erhalten haben:
Vor dem Bregenzer Landesklinikum finden regelmäßig Kundgebungen von Lebensschützern statt. Ist es dabei in den vergangenen zwei Jahren, seitdem der Verein Miriam diese organisiert, je zu strafbaren Handlungen wie Beleidigungen, Übergriffen oder gar Gewalt gekommen?
Die Landespolizeidirektion Vorarlberg hat am selben Tag folgendermaßen geantwortet:
der Polizei wurden keine diesbezüglichen Anzeigen erstattet bzw. solche Sachverhalte bekanntgemacht.
Im Artikel ist die Frage anderslautend dargestellt: …ob es in den vergangenen zwei Jahren jemals eine Anzeige wegen Beleidigung, Nötigung oder gar tätliche Angriffe gegeben habe,…
Mit freundlichen Grüßen
Fabian Marchetti
Landespolizeidirektion Vorarlberg"
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