Segelflotte als Klimasünder?
- FactJack Redaktion

- 26. Okt.
- 4 Min. Lesezeit
Die Global Sumud Friedensflotte segelte als Solidaritätsakt Richtung Gaza. Kritiker verurteilen den ökologischen Fußabdruck, den die Flotte dabei verursacht hat, und bezeichnen sie als CO₂-Schleuder. Ein Faktencheck.

Wer ein Statement setzen will, muss auffallen. Die Global Sumud Flottille wollte genau das: Aufmerksamkeit auf die prekäre Lage in Gaza lenken und mit Hilfsgütern die israelische Seeblockade durchbrechen.
Das Unterfangen wurde von vielen Seiten kritisiert. Allen voran die Plattform “exxpress”. In einem Artikel vom 13. Oktober wird der Segel-Konvoi, der Anfang September von Barcelona aus gestartet war, als „ökologischer Irrsinn“ abgetan. Dort werden einige Behauptungen angeführt, die auf den zweiten Blick Fehler aufweisen.
Behauptung 1: Die Flottille habe auf dem Weg nach Gaza zwischen 3000 und 5000 Tonnen CO₂ verursacht.
Diese Menge ist sehr unwahrscheinlich. Der Startpunkt der Flottille lag in Barcelona, wobei die meisten kleineren Schiffe erst unterwegs von Genua, Catania oder Tunis dazugestoßen sind. Darum hat nicht jedes Boot den gleichen Streckenaufwand unternommen. Um aber eine grobe Einschätzung geben zu können, ist eine Durchschnittsstrecke mit 1000 Seemeilen von Sizilien nach Gaza durchaus realistisch. Ist man dabei mit einer Geschwindigkeit von 6 Knoten unterwegs, braucht man etwa 167 Stunden.
Im Artikel von “exxpress” geht man von einem Dieselverbrauch pro Boot von bis zu 45 Litern Treibstoff pro Stunde aus. Damit käme man auf 7500 Liter pro Boot, bzw. auf 315.000 Liter für die ganze Flotte. Das klingt nach einer ganzen Menge. Umgerechnet auf die Emissionen liegt man jedoch bei etwa 840 Tonnen Kohlendioxid und damit weit unter der Behauptung von 3000 bis 5000 Tonnen.
Behauptung 2: Das Energieunternehmen “Voltar Solar” rechnet der Flotte einen Gesamt-Treibstoffverbrauch von 53.600 Litern vor.
Hier findet sich ein Widerspruch im Text. Sollten die Boote tatsächlich 45 Liter pro Stunde verbrauchen, dann läge der Gesamtverbrauch bei 315.000 Litern und somit weit über den Einschätzungen des Energieunternehmens. Es ist auch nicht klar nachvollziehbar, auf welche Auswertung sich das Energieunternehmen bezogen hat. Außerdem ist fraglich, wie fundiert die Einschätzung von Voltar Solar tatsächlich ist, denn die Firma ist auf den Handel von Solaranlagen spezialisiert.
Behauptung 3: Die Flotte hat so viele Emissionen wie ein großes Frachtschiff verursacht.
Hier fehlt die konkrete Referenz. Wenn ein typisches Containerschiff nur etwa 6 Knoten fahren würde, dann wäre der Vergleich stimmig. In der Realität sind Frachter aber wesentlich schneller unterwegs. Bei etwa 20 Knoten würde es etwa doppelt so viel verbrauchen wie die Flotte.
Behauptung 4: Die Flottille hat in fünf Wochen 165 Tonnen Luftschadstoffe verursacht. So viel wie 206 Flüge von Tel Aviv nach London bei einem Gesamtverbrauch von 53.600 Litern.
Die Vergleiche sind irreführend. Die im Artikel genannten 165 Tonnen Luftschadstoffe für die Flotte passen nicht zu den üblichen Emissionsfaktoren für 53.600 Liter Schiffsdiesel. Realistisch sind je nach Schwefelgehalt vielleicht insgesamt 2 bis 3 Tonnen. Bei 206 Flügen käme man auf maximal 46 Tonnen Luftschadstoffe, je nachdem welche Verbrauchszahlen man annimmt. Die im Artikel genannten 165 Tonnen Luftschadstoffe sind aber für beide Transportmittel unrealistisch hoch angesetzt. Irreführend ist auch, dass im Text CO₂-Emissionen und Luftschadstoffe gemischt werden. Die beiden Begriffe sind aber nicht gleichzusetzen. Wenn also zuerst die Rede von „3000 bis 5000 Tonnen CO₂“ und dann von „165 Tonnen Luftschadstoffen“ ist, werden Äpfel mit Birnen verglichen.
Tatsache ist: Der Treibstoffverbrauch ist von vielen Faktoren abhängig.
Dass die Boote aber überhaupt so viel Treibstoff verbrauchen, hält Robert Muhr, Experte für Segelgut und Frachttransport aus Graz, für sehr unwahrscheinlich. Selbst die größeren Hauptschiffe, welche die Flotte anführen, dürften weit darunterliegen. Der Universitätsprofessor schätzt den Gesamtverbrauch eines der Hauptschiffe „Madleen“ mit einem 170 PS starken Ecotec-Dieselmotor auf 3000 Liter für den Weg nach Gaza. Doch auch nur dann, wenn das Boot bei 6 Knoten konstanter Motorleistung unterwegs ist. Die Flotte käme damit auf einen Gesamtverbrauch von etwa 130.000 Litern und einen CO₂-Ausstoß von rund 335 Tonnen.
Der ehemalige Kapitän Muhr gibt aber zu bedenken, dass der tatsächliche Treibstoffverbrauch von der Geschwindigkeit, den Strömungsverhältnissen, der Beladung, dem Zustand des Propellers und des Rumpfes abhängig ist. Genauso spielen der Unterwasserbewuchs, die Nutzung von Klimaanlagen und Geräten sowie die Energieeinspeisung von Photovoltaikanlagen eine Rolle.
Wichtig zu wissen ist auch, dass es sich hauptsächlich um Segelyachten handelt und Teile der Strecke ganz ohne Motorantrieb zurückgelegt worden sein dürften. Zudem sind viele der Boote kleiner als das Hauptschiff „Madleen“ und ohnehin spritsparender. Einige Schiffe sind nicht am Startpunkt in Barcelona, sondern erst unterwegs von Genua, Catania oder Tunis dazu gestoßen. Sie haben daher insgesamt eine kürzere Strecke zurückgelegt, wodurch der Gesamtverbrauch dieser Boote durchaus niedriger ausfällt.
Die geprüften Aussagen auf einen Blick
Die Flotte habe 3.000 bis 5.000 Tonnen CO₂ ausgestoßen unwahr
Dieselbetriebene Boote haben bis zu 45 L/h Treibstoff verbrannt unwahr
Sie haben damit so viel CO2 ausgestoßen wie ein großes Frachtschiff teilweise wahr
Bei einem Gesamtverbrauch von 53.600 Litern (Einschätzung Volta solar) haben sie ähnlich viele Luftschadstoffe verursacht wie 206 Flüge auf der Strecke Tel Aviv – London unwahr
Vorschnelle Urteile
Den Segel-Konvoi als „CO₂-Schleuder-Flottille“ zu verurteilen, ist pauschal nicht zutreffend. Je nach Berechnungsmethode ergibt sich eine große Schwankungsbreite, die eine eindeutige Antwort selbst für Schifffahrts-Expert:innen schwierig macht. Die von “exxpress” genannten Argumente sind ohne Methodik nicht nachvollziehbar. Letztlich war die Aktion aber weniger dem Klima als der Solidarität gewidmet. Die Aufmerksamkeit, die dadurch generiert wurde, ist jedenfalls unbestreitbar.
QUELLEN, INTERVIEWPARTNER, BERECHNUNGSGRUNDLAGE & KI
Interviewpartner: Kpt. DI(FH) Robert Muhr, Master Mariner (Experte für Segel- und Frachtgut)
Berechnungsgrundlage:
Für die Schiffe wurden typische Verbrauchswerte (mit Minimum und Maximum) angesetzt - für die Segelyachten 0 l berücksichtigt, da sie theoretisch auch vollständig segeln könnten.
Geschätzter Gesamtverbrauch der Flotte: 130.000 – 420.000 l Diesel. Inklusive
Fehlerbandbreite: Faktor 0,5 bis 2 (also 65.000 – 840.000 l möglich). Berechnung für das Hauptschiff “Madleen”: Bei 6–8 kn Fahrt: 1,5–3 l pro Seemeile.Für 1.000 sm Strecke: 1.500–3.000 l Diesel, falls komplett motort.
Vergleich zu Flügen nicht direkt zulässig, da Transportkapazität (Ladung) völlig unterschiedlich ist: Schiffe können deutlich mehr transportieren.Genauere Bewertung hängt von Transportmengen und Personenanzahl ab.
Ältere Motorschiffe könnten allerdings deutlich höhere Emissionen haben.
Quellen:
exxpress: Peinlich bis widerlich: Gaza-Flottille – die 10 größten Fails von Greta & Co. https://archive.ph/05Lgw (archiviert)
olivenetwork: Freedom Flotilla - Madleen Tracker. https://archive.ph/yWIoE (archiviert)
The Geography of Transport Systems: Fuel Consumption by Containership Size and Speed https://archive.ph/91ysx (archiviert)
International Civil Aviation Organization: ICAO Carbon Emissions Calculator (ICEC) https://archive.ph/qnD6b (archiviert)
Greenprophet: What we know about the Barcarole “Freedom Flotilla” boat heading to Gaza with Greta Thunberg https://archive.ph/83Qjh (archiviert)
Bei diesem Faktencheck wurde Ki zur Quellenrecherche, Berechnung, Plausibilitätspüfung, Zusammenfassung genutzt
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